Limprichtia 24: 35-39,
2004
Zusammenfassung:Ulota coarctata war im 19. Jahrhundert noch eine verbreitete Art der Gebirgswälder. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Vorkommen immer seltener, bis sie in fast ganz Deutschland erloschen waren. In Baden-Württemberg wurde U. coarctata 1927 zum letzten mal gefunden. Nur in Bayern haben einige Vorkommen überdauern können. In den späten 90ern wurden erste vereinzelte Wiederfunde gemacht. Neuerdings gibt es auch Funde von zusammenhängenden Populationen.
Abstract: In the 19. century, Ulota
coarctata was still widespread in montane forests. The records decreased at
the begin of the 20. century until the species was almost extint in Germany. In
Baden-Württemberg, it has been found for the last time in 1927. Only few
populations survived in Bavaria. The first rediscoveries were made in the late
nineties. At present there are again larger populations.
In älterer Literatur wird dem Vorkommen von Ulota coarctata (P. Beauv.) Hammar (syn. = U. Ludwigii Brid.) keine besondere Bedeutung beigemessen, da die Art häufig war. Schimper (1876) schreibt: „ad truncos praesertim juniores arborum sylvaticarum totinus fere Europae...“ (an Stämmen bevorzugt junger Waldbäume durch fast ganz Europa). In „Die Laubmoose Badens“ schreibt Herzog (1904): „An Laubholzstämmen in Bergwäldern durch das ganze Gebiet häufig!“ In Mönkemeyer (1927) steht noch: „An Stämmen von Waldbäumen, besonders in Bergwäldern, in Mitteleuropa und Westeuropa nicht selten,...“.
Tatsächlich gingen aber die Bestände schon um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert rapide zurück, der letzte Fund aus Baden-Württemberg stammt von 1927 (Sauer 2001). In Frahm & Frey (1983) steht dann auch: „Früher zerstreut, heute vielfach ausgestorben.“ In der Roten Liste der Moose Deutschlands (Ludwig et al. 1996) wird die Art für Rheinland-Pfalz mit Gefährdungskategorie 1 (vom Aussterben bedroht) und für Bayern mit 2 (stark gefährdet) angegeben, in allen anderen Bundesländern wird U. coarctata mit 0 (ausgestorben oder verschollen) geführt.
Das Moos gilt als besonders empfindlich gegenüber Luftschadstoffen und war wohl ein frühes Opfer der Industrialisierung (Sauer 2001).
In den letzten Jahren wurden nun vereinzelt Wiederfunde der ehemals in ganz Deutschland verbreiteten Art gemacht. So berichtet Koperski (1999) von einem Fund aus Niedersachsen von H. u. G. Baur 1998, Sauer (2001) von zwei Funden von K. H. Harms im, und am Rand des Nordschwarzwaldes 1998 und 1999, L. Meinunger (persönliche Mitteilung) von neuen Funden aus Bayern und F. Hans (persönliche Mitteilung) von einigen Funden aus dem Saarland. Bei den meisten Funden handelt es sich um kleine Vorkommen, im Saarland konnte aber bei einer gezielten Nachsuche in der Umgebung eines Zufallsfundes, einige Vorkommen innerhalb eines kleinen Gebietes entdeckt werden, was bereits auf eine +/- stabile Population der Art schließen lässt.
Im Frühjahr letzten Jahres entdeckte ich per Zufall ein Vorkommen von U. coarctata im Mooswald, vor den Toren von Freiburg, an einer jungen Esche. Eine weitere Nachsuche in der Umgebung brachte keine weiteren Vorkommen. In diesem Herbst fand ich (ebenfalls an einer jungen Esche) im Wilhelmer Tal im Südschwarzwald ein Polster des Mooses mit einem beachtlichen Durchmesser von ca. 8 cm. Eine Nachsuche in diesem Gebiet erbrachte dann 5 weitere Vorkommen von sehr kleinen Polstern mit wenigen Kapseln, bis zu großen und sehr reich fruchtenden Polstern. Die Trägerbäume waren dabei Esche, Buche und Bergahorn (s. Tab. 1). Das Gebiet dieser Nachsuche umfasste ca. 1 km². Dabei wurden in 3 Stunden einige hundert Bäume entlang eines frei gewählten Rundweges abgesucht, was nur ein kleiner Teil der potentiellen Trägerbäume dieses Gebietes darstellt. Es wird vermutet, dass die tatsächlichen Vorkommen von U. coarctata in diesem Gebiet deutlich über die 6 festgestellten hinausgehen. Wie im Saarland scheint es sich dabei ebenfalls bereits um eine etablierte Population zu handeln. Eine gezielte Suche im benachbarten Zastlertal erbracht nur ein Fund, immerhin aber ein stattliches Poster, an einer Salweide am Ufer des Zastlerbaches.
Tab. 1: Neue Funde von U. coarctata aus Südbaden
8012NW: Freiburg Tiengen, Mooswald SW Schlatthöfe u. O Arlesheimer See, epiphyt. an Stamm junger (20-30j) Esche in Erlen-Eschen-Wald, 215 m, 10.04.02 Lüth 3775.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Parkplatz beim Gasthof Napf, R342320/H530602, an Esche in Bachnähe direkt hinter der Schranke, 840 m, 18.10.03 Lüth 4301.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Parkplatz beim Gasthof Napf, R342320/H530602, an Esche in Bachnähe direkt hinter der Schranke, 840 m, 07.11.03 Lüth 4302.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Parkplatz beim Gasthof Napf, R342320/H530602, an Buche in Bachnähe direkt hinter der Schranke, 840 m, 07.11.03 Lüth 4303.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Wanderweg vom Napf zum Hüttenwasen, R342385/H530575, Bergahorn in Mischwald an S-exp. Hang ca. 40 m über Talgrund, 920 m, 07.11.03 Lüth 4305.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Waldstraße im hinteren Napf, nähe Kehre, R342413/H5305125, große Buche in Altholzbestand, 970 m, 07.11.03 Lüth 4306.
8113NO: Schwarzwald, St. Wilhelmer Tal, Waldstraße im hinteren Napf, nähe Kehre, R342413/H5305125, großer Bergahorn in Altholzbestand, 970 m, 07.11.03 Lüth 4307.
8114NW: Schwarzwald, Zastlertal, Waldrastplatz Kluse, R342625/H530670, in Stammgabelung von Salweide am Bachufer, 890 m, 08.11.03 Lüth 4308.
Es scheint sich also zu lohnen, hie und da auf weitere Vorkommen von U. coarctata zu achten. Die bisher bekannt gewordenen Funde liegen weit im Norden, Westen, Südwesten und Südosten von Deutschland und es ist durchaus wahrscheinlich, dass im ganzen übrigen Gebiet dazwischen die Art ebenfalls Vorkommen besitzt. Wo soll man also nach was Ausschau halten?
U. coarctata besitzt eine Vorliebe für luftfeuchte Standorte, bzw. für luftfeuchte Lagen. Letzteres trifft allgemein für Bergwälder zu, in denen die Art früher am häufigsten anzutreffen war. In der Ebene sind es luftfeuchte Sonderstandorte, in denen das Moos am ehesten zu erwarten ist. Der Fundort bei Freiburg liegt in einem luftfeuchten Erlen-Eschen-Wald, die Fundorte im Saarland befinden sich in Bachschluchten. Die neueren Funde aus dem Südschwarzwald liegen ebenfalls meist in der Nähe von Bächen, die Art wurde hier aber auch an einem S-exp. Hang, weitab von einem Bach gefunden; allerdings noch im unteren Hangbereich eines sehr luftfeuchten Gebietes (Napf).
Als Trägerbäume kommen wohl verschiedene Arten in Frage, die eigenen Funde wurden an Esche, Buche, Bergahorn und Salweide gemacht. Im Saarland stammen alle Funde von Weiden, die an Bächen stehen. Aus der Tatra (Slowakei) ist mir ein Vorkommen an einer Erle bekannt.
Eigentlich ist U. coarctata leicht zu erkennen und kaum mit anderen Arten zu verwechseln. Auf den ersten Blick ähnelt sie U. bruchii, vor allem durch die weit aus dem Polster ragenden, relativ großen Kapseln. Im Gegensatz zu U. bruchii sind die Blätter von U. coarctata aber deutlich weniger gekräuselt, die Polster meist sehr flach streichend mit etwas kriechenden (oft rhizoidfilzigen) Ästen, die oben etwas dunkelgrün und unten rötlich bis rotbraun gefärbt sind (Abb. 1 und 2). Das sicherste Erkennungsmerkmal aber sind die glatten und birnenförmigen Kapseln, die nur im obersten Bereich Falten aufweisen, wo sie sich zu einem engen Kapselmund zusammenziehen (Abb. 2).
Dennoch kann man die Art aber leicht übersehen. Die charakteristischen Merkmale lassen sich nur dann gut erkennen, wenn die Pflanzen trocken sind. An den luftfeuchten Standorten trifft man aber häufig nur auf feuchte Pflanzen. Und selbst bei Trockenheit kann es schwierig werden. Große, einzeln stehende Polster erkennt man leicht. Einige Vorkommen befinden sich aber an Bäumen, die überaus reichlich mit U. crispa und U. bruchii bewachsen sind. Ein kleines Polster von U. coarctata mit wenigen Kapseln lässt sich an so einem Baum nur finden, indem man alle Polster mit der Lupe durchmustert. An geeigneten Bäumen können dies Hunderte von Polstern auf den unteren 2 m des Stammes sein. In einem Fall wurde an so einem Baum ein Polster von ca. 1 cm² Fläche und drei Kapseln gefunden, das Polster wuchs direkt zwischen mehreren Polstern von U. bruchii und war zudem halb mit Hypnum cupressiforme überwachsen. Das Auffinden von kleinen Vorkommen von U. coarctata ist oftmals entweder großer Zufall oder reine Fleißarbeit!
Es ist anzunehmen, dass durch eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Art, U. coarctata in den nächsten Jahren auch in anderen Gebieten vermehrt wieder entdeckt wird.
Frahm, J.-P. & Frey, W. 1983: Moosflora.- 522 S., Stuttgart.
Herzog, T. 1904: Die Laubmoose Badens.
Eine bryogeographische Skizze.- Extrait
du Bulletin de l’Herbier Boissier, 2me série, Tome N-No. 2.
Koperski, M. 1999: Florenliste und Rote Liste der Moose in Niedersachsen und Bremen.- Inform.d. Naturschutz Niedersachs., 19 (1), 1-76, Hildesheim.
Ludwig, G.; Düll, R.; Philippi, G.; Ahrens, M.; Caspari, S.; Koperski, M.; Lütt, S.; Schulz, F. & Schwab, G. 1996: Rote Liste der Moose (Anthocerophyta et Bryophyta) Deutschlands.- Schr.-R. f. Vegetationskde., H. 28, 189-306, BfN, Bonn-Bad Godesberg.
Mönkemeyer, W. 1927: Die Laubmoose Europas.- Rabenhorsts Krypt. Flora Bd. IV, Erg. Bd., 960 S., Leipzig.
Sauer, M. 2001 : Ulota D. Mohr.- In : Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.): Die Moose Baden-Württembergs, Bd. 2, 197-208.-Stuttgart.
Schimper, W.Ph. 1876: Synopsis Muscorum europaeum.- Stuttgart.
Anschrift des Autors:
Dipl.-Biol. Michael Lüth
Emmendinger Str. 32
79106 Freiburg
Abb. 1: Großes Polster von Ulota coarctata an einer Salweide im Zastlertal. Gut zu erkennen sind hier der typische flach streichende Wuchs und die rotbraune Färbung am Grund der Stämmchen.
Abb. 2: Ulota coarctata an einer Esche im Mooswald bei Freiburg, Detailaufnahmen von Kapselform und Rhizoidenfilz der Stämmchen.